Leider kommt für viele die Gesundheit nicht an erster Stelle. Zuerst kommt die Arbeit, dann die Familie und dann erst die Gesundheit. Gerade die viel beschäftigten und stressgeplagten Arbeitnehmer, nehmen BGM-Angebote kaum wahr, so Dr. Oliver-Timo Henssler. Im Interview zu seinem Auftritt beim Life Balance Day 2016 in Aschaffenburg am 17. September, spricht er über die Notwendigkeit eines modernen betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) und darüber wie man Angestellte erfolgreich motivieren kann.
Interview mit Dr. Oliver-Timo Henssler zum Life Balance Day 2016
Hallo Herr Dr. Oliver-Timo Henssler, bitte erklären Sie unseren Lesern kurz die Begriffe Arbeit 4.0 und BGM 4.0.
Die Digitalisierung hat nicht nur die Industrie und Dienstleistungsbranche verändert, sie hat auch zu einem drastischen Wandel der Arbeit geführt. Dieser Wandel wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch weiter beschleunigen. Die Stichworte hier sind Mobilität, Entgrenzung, Selbstregulierung und Netzwerken. Arbeit ist nicht mehr an einen bestimmten Ort und eine feste Zeit gebunden, sondern kann überall und jederzeit stattfinden. Daraus resultiert eine deutlich höhere Eigenverantwortung und Eigenorganisation der Mitarbeiter, traditionelle Führungsstrukturen brechen auf und werden durch Netzwerkstrukturen ersetzt. BGM 4.0 beschreibt vor diesem Hintergrund ein an die Rahmenbedingungen der Arbeit 4.0 angepasstes BGM.
In welcher Form hängen die beiden Begrifflichkeiten Arbeit 4.0 und BGM 4.0 zusammen?
Der Wandel der Arbeitswelt verändert auch die Rahmenbedingungen für das BGM: Er bringt neue Belastungen für die Beschäftigten, die es proaktiv abzufedern gilt. Viele bestehende BGM-Systeme bleiben gerade im Maßnahmenbereich sehr eindimensional und setzen auf altbekannte Lösungen. Immer mehr Unternehmen merken aber mittlerweile, dass sie wichtige betriebliche Zielgruppen damit verlieren oder gar nicht erst adressieren. BGM 4.0 beschreibt vor diesem Hintergrund einen Paradigmenwechsel im BGM, hin zu mehr Reichweite durch Individualisierung. Nicht die Masse der Beschäftigten, sondern der einzelne Mitarbeiter steht im Fokus.
Warum ist die Teilnahmequote bei Maßnahmen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) in Unternehmen bisher so gering?
Durchschnittlich werden zwischen 10 und 20 Prozent der Beschäftigten binnen eines Jahres mit BGF-Maßnahmen erreicht. Natürlich gibt es Ausreißer nach oben, aber das sind Zahlen, die mir in vielen Audits und Workshops bestätigt wurden. Grundsätzlich liegt natürlich jedem Mitarbeiter etwas daran, gesund und leistungsfähig zu bleiben. Die Herausforderung ist aber, die Mitarbeiter dann auch dazu zu bekommen etwas zu tun – sie zu aktivieren. Das scheitert oft daran, dass Gesundheit fast immer ein Ad-on ist – zuerst kommt die Arbeit, dann die Familie und erst dann die Gesundheit. Selbst wenn immer mehr Unternehmen es möglich machen, während der Arbeit beispielsweise an Kursen oder Aktionen teilzunehmen, sind es gerade die viel beschäftigten, die aufgrund enger Zeitfenster nicht daran teilnehmen. Hier spielt auch die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle: Nimmt mein Chef sich auch einmal Zeit für seine Gesundheit oder arbeitet er ohne Unterbrechung?
Wie muss BGM zukünftig gestaltet werden, um alle beziehungsweise einen Großteil der Mitarbeiter zu erreichen?
Grundlegend muss es sich an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. Es muss jedem Mitarbeiter zu jeder Zeit und an jedem Ort individuell auf seine Bedürfnisse angepasste Unterstützungsleistungen bieten. Diese sollten im besten Falle extrem niedrigschwellig sein, das heißt nicht vor oder nach der Arbeit stattfinden sondern in bestehende Arbeitsprozesse integriert werden. Statt den Mitarbeitern einen möglichst großen Bauchladen an verschiedensten Präventionsangeboten zu offerieren und zu warten bis die sowieso aktiven Mitarbeiter sich selbst die schönsten Leistungen aussuchen, geht es darum, die Mitarbeiter, die es am nötigsten haben, an der Hand zu nehmen und für diese eine Lotsenfunktion zu übernehmen, das heißt die am besten passenden Angebote zu vermitteln.
Welche Rolle spielt auf Unternehmensseite Individualität und Flexibilität bezüglich zielgerichteter BGM-Maßnahmen?
Wir erleben eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, in der die traditionell sehr stark ausgeprägte Organisation in Vereinen und Interessengemeinschaften rückläufig ist. Stattdessen steht die individuelle Aktivität im Vordergrund. Diese Individualisierung muss auch in der betrieblichen Prävention Berücksichtigung finden, am besten aber gekoppelt mit Teamelementen. Wenn sie in einem Unternehmen mit 100 Mitarbeitern sind, müssen Sie eigentlich jedem Mitarbeiter ein individuelles Programm bieten und hierzu auch die richtigen Incentives liefern. Was sich zunächst paradox anhört, lässt sich mit Hilfe von BGM 4.0 Lösungen sehr erfolgreich umsetzen.
Wie können digitale Lösungen im Bereich BGM aussehen?
Wir stellen den einzelnen Mitarbeiter in den Fokus, stärken dessen individuelle Gesundheit, aber gleichzeitig auch das Teamgefühl und die Verbundenheit mit dem eigenen Unternehmen. Beispielsweise bieten wir mit unserer Lösung moove jedem Mitarbeiter eine individuelle Gesundheitsbefragung und ein genau auf die dabei ermittelten Bedürfnisse abgestimmtes Online-Gesundheitsprogramm. Das Ganze verbinden wir mit den im Unternehmen bereits bestehenden BGF-Angeboten. Mit einer Challenge bringen wir zusätzlich die Kolleginnen und Kollegen als Motivationsfaktor mit ins Spiel. Wichtig für den Erfolg ist zudem die Anpassung an das Unternehmen. Das garantieren wir durch unser Management-Tool für den oder die Gesundheitsmanager/in, die darüber eigene kleine Aufgaben und Ziele oder eigene Inhalte in das Online-Gesundheitsprogramm integrieren kann. Der Fantasie für zusätzliche Motivationselemente sind hier keine Grenzen gesetzt, es eröffnen sich nie gekannte Möglichkeiten.
In wie weit kann BGM 4.0 den Unternehmen helfen, die bestehenden Schwachstellen im BGM zu beseitigen beziehungsweise zu minimieren?
Wir bieten allen interessierten Unternehmen einen kostenlosen BGM 4.0 Check an, in dem wir die Stärken aber auch Schwächen des BGM hinsichtlich der adressierten Zielgruppen und der Reichweite analysieren. Darauf aufbauend erstellen wir passgenaue Lösungsstrategien, die genau die identifizierten Lücken füllen – das können digitale Elemente und Tools sein, aber durchaus auch klassische Maßnahmen. Für einen unserer Kunden haben wir beispielsweise eine Strategie erstellt, um die mobilen Mitarbeiter im Vertrieb zu erreichen – für einen anderen an die Azubis adressiert – in beiden Fällen hat die mobile Verfügbarkeit von Maßnahmen eine große Rolle gespielt.
Was können Besucher von Ihrem Vortrag „BGM 4.0 – wie Sie mit der Kombination von On- und Offlinelösungen neue betriebliche Zielgruppen erreichen“ am Life Balance Day 2016, der am 17. September 2016 in Aschaffenburg stattfindet, erwarten?
Einen guten Einblick in die Rahmenbedingen der Arbeit 4.0 sowie die Möglichkeiten, durch neue, innovative Tools schwierige Zielgruppen zu erreichen.
Herr Dr. Oliver-Timo Henssler , vielen Dank für das Gespräch und Ihre faszinierenden Einblicke. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Life Balance Day 2016.
Das Interview führte Oliver Foitzik, Herausgeber des Wirtschafts- und Mittelstandsmagazins AGITANO sowie Geschäftsführer der FOMACO GmbH.
Über Dr. Oliver-Timo Henssler
Dr. Oliver-Timo Henssler leitet das Partnermanagement und die Beratung der vitaliberty GmbH. Er bringt über zwölf Jahre Erfahrung im Gesundheitsmanagement mit und ist Experte für die Modellierung und Analyse nachhaltiger Managementsysteme.
Gemeinsam mit dem Handelsblatt initiierte Dr. Henssler im Jahr 2004 die erste deutschlandweite Studienreihe zum Thema Gesundheitsmanagement. Als Projektleiter und späterer Geschäftsführer von EuPD RSM rief er 2008 mit seinem Team den Corporate Health Award und das Corporate Health Audit sowie ab 2010, zusammen mit dem TÜV SÜD, den Deutschen Bildungspreis ins Leben.
Dr. Henssler ist Autor und Herausgeber diverser Fachbücher und Fachartikel zum Gesundheits- und Talentmanagement und hat in mehr als 100 Unternehmen das Gesundheits- sowie Talentmanagement auditiert und viele Unternehmen bei der Optimierung ihres BGMs unterstützt.